Zwangsentspannung mit Lilly und Sissy

Haustechniker Klaus Kraft (57) aus Frankfurt würde lieber seinen Job als seine Katzen verlieren. «Sie haben mir das Leben gerettet», sagt er.

Lilly ist extrem verschmust. Und Sissy die wohl hübscheste Katze der Welt. Und sehr bettelbegabt. Die beiden haben mir das Leben gerettet. Denn ich litt – und leide immer noch – an einer schweren Depression. Ohne Lilly und Sissy hätte ich es vielleicht nicht bis hierher geschafft.

Dabei wollte ich erst gar keine Katzen mehr, weil die beiden Letzten traurig zugrunde gingen. Die eine hat eine Allergie gegen einen Inhaltsstoff entwickelt, der in den meisten Katzenfuttersorten enthalten ist. Ich habe mit Tabellen gearbeitet und penibel notiert, wie sie auf welches Futter reagiert hat – viel, wenig, gar nicht, mit Durchfall oder Erbrechen? Aber der Gewichtsverlust ging schneller vonstatten, als ich etwas herausfinden konnte. Das war böse. Der zweite, ein schöner grosser, roter Kater, wurde auf einmal ganz merkwürdig. Er hat sich seltsam verhalten, komisch reagiert, wurde schreckhaft und unsauber. Der Tierarzt stellte fest, dass der Kater einen Schlaganfall erlitten hatte und völlig erblindet war. Das hat natürlich das merkwürdige Verhalten erklärt.

Jetzt ist Schluss mit Katzen, habe ich mir gesagt, nachdem die beiden gestorben sind, so was möchte ich nicht mehr mitmachen. Zwölf, dreizehn Jahre lang habe ich es geschafft ohne Katzen. Bis ich eine alte Bekannte wiedergetroffen habe, im Internet, nach über zwanzig Jahren. Sie hat selber Katzen und schnell sind wir auf das Thema gekommen. Ich solle mir doch wieder welche zulegen, hat sie gemeint. Ein halbes Jahr habe ich noch gewartet. Dann war ich bereit für neue Katzen.

Ende 2012 habe ich Lilly und Sissy aus dem Tierheim geholt. Das war der beste Entschluss der vielen letzten Jahre, den ich gefasst habe. Man kann ja auch Zuchtkatzen kaufen; man kann sich welche aus dem Ausland organisieren, aber ich finde, Tierheimkatzen sind die vernünftigste Lösung. Die sind auch immer recht dankbar. So zumindest erlebe ich es.

Die Grosse, Sissy, ist eine Schildpatt. Lilly, die Kleine, eine ganz normale Tigerdame. Sie sind jetzt seit sieben und seit gut vier Jahren bei mir. Es sind Wurfgeschwister. Dabei sind sie völlig verschieden, sowohl optisch als auch von der Art her. Das Einzige, was bei beiden gleich ist, ist, dass es Katzen sind. Lilly ist schon im Tierheim auf mich zugerannt. Sissy hingegen war extrem zurückhaltend. Ich kenne ihre Geschichte nicht, sie hat wohl aber schlechte Erfahrungen gemacht mit Menschen. Erst im vierten Jahr hat sie angefangen, quasi über Nacht, sich auf mich zuzubewegen. Heute kommt auch sie manchmal schmusen, nicht so oft und so intensiv wie Lilly, aber immerhin. Wenn dieses hübsche Gesicht ganz nahekommt und sie daliegt und es geniesst, ist das Glück grenzenlos. Es ist einfach schön, wieder Katzen zu haben. Das tut mir unendlich gut. Ich bin eigentlich nicht der Freund von irgendwelchen Sprüchen in der Richtung, aber manchmal frage ich mich schon, ob ich die letzten Jahre alleine geschafft hätte, ohne meine zwei Mäuse hier. Da bin ich mir nicht so sicher.

Ich leide an einer schweren Depression, Burnout und so weiter. Die Katzen sind mir eine grosse Stütze. Mit Katzen hat man einen Grund, sich zu freuen. Man kommt nach Hause und wird begrüsst – da ist jemand, der sich auf einen freut. Man hat eine Aufgabe und trägt Verantwortung. Meine Katzen sind zudem so eine Art Zwangsentspannung. Gerade die Kleine brummt mir die Entspannung regelrecht auf. Sie setzt sich auf meinen Oberkörper und drückt mich in den Sessel hinein, sodass ich ganz nach unten rutsche, bis ich flach im Sessel hänge, die Kleine auf meiner Brust, Gesicht an Gesicht, einfach herrlich! Selbst jetzt im vierten Jahr ist das schöner als Kino, so ein Tier zu beobachten, das Zutrauen hat, schmust und sich seine Kuscheleinheiten abholt. Ich weiss nicht, ob es dem Tier oder mir mehr bringt. Aber ich weiss eines – ich werde mir keinerlei Gedanken mehr machen, wie alt ich werde, ob ich irgendwann irgendwelche Probleme kriege, ob ich meinen Job verliere. Alles egal. Was zählt, sind meine Katzen. Ich möchte nicht mehr sein ohne sie. Für mich sind meine Katzen absolut einzigartig.

Aufgezeichnet von Andreas Krebs

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geschrieben von:
Andreas Krebs

Andreas Krebs

Bevor er laufen konnte, beobachtete Andreas Krebs vor allem Schnecken, Käfer und Ameisen. Bald faszinierten ihn auch schnellere Tiere wie Katzen und Hunde. Heute ist er Journalist und schreibt vor allem Reportagen und Porträts über Themen aus den Bereichen Umwelt und Gesellschaft. So will er dem Leser die Wechselwirkung Mensch-Natur-Mensch bewusst machen. Ausserdem schreibt Andreas Krebs Biografien.

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