Wenn die Katze König sein will – Gefährliche Statusaggression

 

Die Katze will König sein? Ganz im Ernst, wollen unsere geliebten Fellnasen das nicht alle? Doch selbst wenn wir unseren Büsi gerne zugestehen, Könige unserer Herzen zu sein, so gibt es doch Exemplare, deren Regentschaft kaum zu ertragen ist.

 

Diese Herrscher vor eigenen Gnaden fordern unsere Zuwendung rigoros ein – und spurt der Zweibeiner nicht, wird nicht nur gefaucht und gekratzt, sondern ernsthaft zugebissen. Statusaggression heisst dieses glücklicherweise seltene und weitgehend unerforschte Phänomen, das leider so manche Katze das Leben kostet.

Frau G. übernahm ihren Kater Blacky aus dem Tierschutz. Der rabenschwarze, bildschöne Maine-Coon-Mix war am späten Silvesterabend 2013 an einer U-Bahn-Haltestelle gefunden worden – völlig verstört durch lautes Feuerwerk und angetrunkene Passanten. Das zirka einjährige Büsi erholte sich jedoch schnell und blühte bei der liebevollen Rentnerin auf. Aber je enger die Bindung wurde, desto nachdrücklicher begann Blacky seinen Willen durchzusetzen: Wollte sein Frauchen abends im Bett lesen, legte er sich demonstrativ auf ihre Unterarme und wälzte sich auf dem Buch. Sobald sie versuchte, ihn sanft beiseitezuschieben oder hochzuheben, äusserte er seinen Unmut – erst nur durch Fauchen und Knurren, aber später auch durch Festkrallen im Bettzeug, Kratzen und Zuschlagen mit der Pfote. Nach dem ersten behandlungsbedürftigen Biss nahm Frau G. Kontakt zu mir auf.

 

Ich bestimme hier die Regeln!

Typisch für statusaggressive Katzen ist, dass sie Widerstand gegen jede körperliche Manipulation durch den Menschen leisten. Sie wollen ihre Situation jederzeit kontrollieren, vor allem aber ihren Aufenthaltsort selbst bestimmen. Die amerikanische Katzenverhaltenstherapeutin Mikel Maria Delgado stellte im Laufe ihrer langjährigen Tätigkeit für ein Tierheim in San Francisco fest, dass alle von ihr untersuchten Katzen, die Statusaggression zeigten, sehr selbstbewusst und menschenbezogen waren sowie gerne intensiven Körperkontakt suchten. Sie legten sich bevorzugt auf Schoss oder Brust des von ihnen ausgewählten Menschen, und das musste nicht unbedingt eine vertraute Person sein.

Versuche, sie von dort zu entfernen und insbesondere Festhalten im Brustbereich lösten heftige Attacken aus, und zwar ohne vorherige körpersprachliche Anzeichen von Irritation. Da dies selbst dann geschah, wenn die Tiere zuvor weder minutenlang gestreichelt noch gekrault worden waren, handelte es sich nicht um eine Überstimulation durch Berührung. Ebenso konnten Schmerzen bei den betroffenen Tieren – es waren übrigens ausschliesslich Kater[1] – ausgeschlossen werden.

 

Restriktive Haltungsbedingungen begünstigen Statusaggression

Ausserdem stellte Delgado fest, dass die meisten aufgrund von Statusaggression abgegebenen Katzen eines gemeinsam hatten: Sie stammten aus Haushalten, in denen sie häufig gemassregelt wurden und in denen es zahlreiche Tabuzonen gab – beispielsweise mehrere Räume, Betten, Esstische, Arbeitsplatten und so weiter. Was ich von Blackys Halterin erfuhr, untermauerte Delgados Beobachtung: Sie lebt in einer Wohnung mit zwei kleinen Zimmern und einer noch kleineren Küche, deren Arbeitsfläche und Tisch der Kater nicht betreten darf. Der Balkon ist zwar mit Katzennetz gesichert und bei milden Temperaturen zugänglich, aber bei meinem ersten Besuch gab es nur dort einen kleinen Kratzbaum und so gut wie keine Rückzugsorte in der Wohnung. Frau G. beklagte auch Blackys Kratzen am Sofa, das er vor allem dann zeigte, wenn ihr Freund anwesend war. Weil dieser meinte, dem Kater das «dominante Verhalten» austreiben zu müssen, war auch er schon gebissen worden.

Glücklicherweise steckte Blackys Statusaggression noch in den Anfängen und liess sich durch ein ordentliches Beschäftigungsprogramm inklusive Klickertraining sowie eine katzengerechte Wohnungsgestaltung ausbremsen. Frau G. war in der Lage, ihrem Partner klarzumachen, dass jede Konfrontation – vor allem körperlicher Natur – bei dieser Verhaltensauffälligkeit kontraproduktiv ist. Stattdessen lernten sie und ihr Freund, Blacky ohne körperliche Einwirkung wegzulotsen, wenn er sich an unerwünschten Plätzen breitmachte. Dies geschah in erster Linie durch Spielzeug, gelegentlich auch durch Leckerbissen.

Die von Mikel Maria Delgado beschriebenen Fälle waren wesentlich gravierender, wie der Fall des Katers Blacky: Der zweijährige, kastrierte Gerald zeigte sich sehr freundlich gegenüber Menschen und kletterte ihnen gerne auf den Schoss, wo er sich allerdings unruhig verhielt, sich wälzte und strampelte. Schliesslich biss er von ihm aufgesuchte Menschen nicht nur unvermittelt in die Arme, sondern attackierte auch wiederholt deren Gesichter, wobei er keine geweiteten, sondern zu Schlitzen verengte Pupillen aufwies. Dies ist ein sicheres Zeichen für einen offensiven, nicht angstmotivierten Angriff.

In vielen Fällen bedeutet die Statusaggression – nicht nur in den USA – das Todesurteil für das Büsi. Spätestens nach der zweiten oder dritten Attacke mit ernsthaften Bissverletzungen folgt die Euthanasie. Nicht alle Katzen haben so viel Glück wie der nicht zu kurierende Gerald. Er wurde an eine Farm vermittelt, wo man zwar für ihn sorgt, enge Kontakte zu Menschen jedoch bewusst vermieden werden. Umso wichtiger ist es für betroffene Halter, Statusaggression rechtzeitig zu erkennen und sich schnell kompetente tierpsychologische Unterstützung zu holen. Das Verhalten der Katze kann in den meisten Fällen durch gezieltes Training positiv beeinflusst werden, aber besonders wichtig ist eine Schulung für die Halter, damit diese sich selbst zu schützen lernen und deeskalierend auf ihr Büsi einwirken können.

 

Merkmale der Statusaggression

Angriffe erfolgen ohne vorherige körpersprachliche Warnung, also «aus heiterem Himmel».

  • Die Pupillen sind eng gestellt.
  • Das Gesicht des Menschen wird fixiert.
  • Bestimmte Körperteile werden bevorzugt attackiert (Beine, Arme, Gesicht).
  • Die Angriffe sind kalkuliert und es ist keine Angst im Spiel.
  • Versuche, die Katze ab- oder umzusetzen sowie feste Griffe um den Körper lösen heftige Attacken aus.
  • Die Katze belagert ihren Menschen auf dem Schoss oder der Brust.
  • Die Katze ist hemmungslos in Bezug auf Körperkontakt mit Fremden und legt diese ebenfalls «in Beschlag».Text: Bettina von Stockfleth

[1] Meines Wissens nach ist bislang noch nicht wissenschaftlich untersucht worden, warum die Statusaggression nur (?) bei männlichen Katzen aufzutreten scheint.

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geschrieben von:
Bettina von Stockfleth

Bettina von Stockfleth

Nach ihrer Ausbildung zur Tierpsychologin spezialisierte Bettina von Stockfleth sich auf Katzen, da diese Tiere immer noch häufig missverstanden werden und es für die Halter meist schwer ist, kompetente und einfühlsame Hilfe zu erhalten. Ein besonderes Anliegen ist ihr die artgerechte Haltung und Beschäftigung von Wohnungskatzen sowie die optimale Gestaltung von Mehrkatzenhaushalten. Sie ist erfolgreiche Autorin dreier Bücher und bildet sich regelmässig in Verhaltensforschung und -medizin fort, um Mensch und Tier optimal helfen zu können. www.mensch-und-katze.de

4 Kommentare zu “Wenn die Katze König sein will – Gefährliche Statusaggression

  1. heidy watson

    ich kann dieser annahme widersprechen: ich habe eine weibliche katze, die genau diese mödeli hat. sie beisst mich vorwiegend in die hand, oder manchmal auch ins bein. 2x musste ich schon Antibiotika nehmen, für kleinere wunden habe ich eine antibiotische salbe.
    ich würde aber nie daran denken sie wegzugeben. muss einfach aufpassen, dass es nicht allzuoft passiert.
    kannte aber einen jungen kater, der noch schlimmer war, und ich glaube, sie hat das von ihm gelernt. (nachbarsbüsi, viel bei mir bei Abwesenheit seines menschen)

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    1. catlady

      da muss ich auch widersprechen. meine katze war auch weiblich und hatte genau dieses verhalten gezeigt. ich hatte teils 5- 10mm tiefe bisswunden an den händen.

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  2. Angela

    Endlich weiß ich Bescheid ! Mein Billy aus dem Tierheim, 6 Jahre alt , ist exakt so . Er hat permanenten Freigang. Mit Leckerlis in der Hosentasche , konnte ich ihn immer gut von meinem Schoß locken . In jedem Raum liegt ein kleines Kissen , dass ich mit Baldrian beträufel . Wenn seine Wut groß wird benutzt er es sehr gerne zum beruhigen . Für Nachbarn und Fußgänger ist er der Horror. Sie werden natürlich auch bedrängt und gebissen. Bei mir hat er sich zum Glück etwas geändert. Mich würde nur interessieren, ob er mich mag. Die typisch körperlichen Signale fehlen. Anstupsen mit dem Kopf , oder abgeknickter Schwanz bei Begrüßung. Zeigen eure Katzen echte Zuneigung ? Und habt ihr auch ein paar Tipps die bei euch funktioniert haben ?

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  3. Silvia Geringer

    Ein weltklasse Beitrag!
    Ich habe nach Informationen zu dominantem Katzenverhalten gesucht, weil meine Bailey eine wirklich arge Wesensveränderung durchgemacht hat, seit ich sie habe – und demnächst 2 Neuzugänge erwartet werden. Aus einer beiss- und kratzwütigen Katze wurde eine echte Kuschelbombe – die stärkste Veränderung machte sie durch, als vor Kurzem der 2. Kater bei uns über die Regenbogenbrücke ging.

    Allerdings bin ich mir nicht 100% sicher, ob sie – wenn sie beisst, was wirklich nur noch seeeehr selten vorkommt – wirklich „absichtlich“ beisst, oder vielleicht aus Schreck, weil ich sie plötzlich unabsichtlich und ungewollt berühre. Sie ist halbblind und wenn es passiert, dann ausschließlich nachts, wenn sie schon neben mir am Kuscheln/Dösen/Schnurren ist und ich ungewollt ankomme. Auch, wenn ich versuche, sie von mir runterzuschubsen, hüpft sie ohne zu Murren einfach runter und sucht sich halt einen anderen Platz – ganz unkompliziert. Und irgendwann versucht sie es dann eben wieder mit dem Schoss 😉

    Seit dem Tod des Katers markiert sie allerdings auffällig stark mit ihrer Schnauze. Keine 5 Minuten bin ich aus der Dusche raus und schon bin ich sprichwörtlich voller Katzensabber. Wäre so etwas auch Dominanzverhalten zu titulieren? Mich würde nämlich konkret interessieren, ob sich daraus ein gewisser Besitzanspruch ergibt – eben wegen der geplanten Neuzugänge. Die beiden Kater kommen aus dem Tierschutz und wurden lt. Vermittlerin im vorherigen Haushalt stark unterdrückt.

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