Mitternachtssnack

Akteure

Sasha: Hübsche, langhaarige, dreifarbige Kätzin, die absolute Chefin im Quartier.

Mitcho: Rot getigerter grosser Kater, die Gutmütigkeit in Person.

Leonardo: Rot getigerter Kater mit kurzem Schwanz. Lebt bei den Nachbarn rechts.

Tschinni: Grau getigerte Kätzin, die Kratzbürste im Quartier. Lebt bei den Nachbarn links.

Rosso: Ein unbekannter, rot getigerter Kater, den wir einfach mal so nennen.

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Etwas hatte mich geweckt. Da hörte ich es wieder. Ein Baby schrie in der Nachbarschaft. Aber da gibt es keine Babys, es müssen Katzen sein! Schon war ich raus aus dem Bett, raus aus dem Haus und durchs Gartentor auf die Strasse getreten. Und da waren sie. Tschinni und Rosso lagen einander gegenüber, die Nasen berührten sich fast. Ein dumpfes Grollen kam von Rosso und Tschinnis Miauen schwoll an und wieder ab wie Wellen, die am Strand aufschlagen. Dieses Miauen hatte ich für das Schreien eines Babys gehalten. Im Halbkreis drum herum, mit einem Meter Abstand sassen Sasha, Mitcho und Leonardo, die Schwänze ordentlich um die Vorderpfoten geschlungen. Sie schauten gespannt zu, ihre Wetteinsätze hatten sie vermutlich längst gemacht. Ohne die kleinste Bewegung sassen sie da. Nur ihre Augen blickten zwischen Tschinni und Rosso hin und her. Die Szene wirkte gespenstisch im fahlen Licht der Strassenlaterne. Der Vollmond, der zwischen vorüberziehenden Wolken am Himmel leuchtete, liess das Ganze noch ein bisschen seltsamer erscheinen. Ich hatte schon von Katzenversammlungen bei Vollmond gelesen und gehört, aber wirklich daran geglaubt hatte ich nie. Was ich da seit einer Viertelstunde beobachten konnte, war genau das, eine Versammlung.

Als ich mich zurückziehen wollte, knackte ein Zweig unter meinen Füssen. Nicht laut, aber es genügte, dass mich die drei Zuschauer entdeckten. Sofort kamen sie zu mir und strichen mir lautlos um die Beine. Sie begleiteten mich ins Haus und baten dann in der Küche mit lautem Miauen um einen Mitternachtssnack. Genüsslich vertilgten sie die unerwartete Mahlzeit und putzten kurz ihr Schnäuzchen. Dann wurde ich vom Küchenchef zum Türsteher degradiert. Mit erhobenen Schwänzen ging es in einer Einerkolonne zurück zum Schauplatz. Tschinni und Rosso hatten sich nicht von der Stelle gerührt. Sie lagen einander immer noch genau gleich gegenüber und miauten sich gegenseitig an, mal lauter, mal leiser. Die Zuschauer nahmen ihre Plätze frisch gestärkt wieder ein. Die Pause war vorbei, the show must go on. Ich zog mich leise zurück. Sollte es zu einem Kampf kommen, würden sich Sasha, Mitcho und Leonardo auf die Seite von Tschinni schlagen und den Eindringling vertreiben. Kaum im Bett, schlief ich auch schon wieder ein und nichts konnte mich nochmals aufwecken.

Am Tag darauf beobachtete ich meine Katzen und Leonardo genau. Sie verhielten sich völlig normal und wiesen keine Verletzungen auf. Im Laufe des Vormittags schaute Tschinni bei uns vorbei in der Hoffnung, dass es in der Küche Futterresten gäbe. Auch sie wies keine Spuren von Verletzungen auf. Sasha, Mitcho und Leonardo konnten Tschinni nicht ausstehen. Wenn sie die Kätzin sahen, ging die ganze Bande auf sie los und vertrieb sie von unserem Grundstück. Ging es jedoch um fremde Eindringlinge, hielten die Holzmattkatzen wie Pech und Schwefel zusammen.

Leider lebt keine von diesen Katzen mehr. Sie haben würdige Nachfolger, aber das ist eine andere Geschichte.

Text und Fotos: Heidi Zortea
Illustration: Susanne Niederer

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