«Die Hoffnung habe ich nie aufgegeben»

Garfield, der Kater von Séverine Frei (26) und ihrem Freund, ist in Nuglar (SO) spurlos verschwunden. Sechs Wochen lang. Dann kam er mit verkrüppelter Hinterpfote angekrochen. Was ist passiert?

Mitte Mai 2012 ist Garfield spurlos verschwunden. Die ersten Tage haben wir uns nichts dabei gedacht – im Sommer bleibt Garfield öfters mal ein, zwei Tage weg. Nach drei Tagen habe ich mir langsam Sorgen gemacht. Am nächsten Tag und die Tage darauf sind wir auf der Suche nach Garfield viel spazieren gegangen, bis zum Wald hoch, so weit geht er manchmal auf seinen Touren. Tag für Tag haben wir Garfield gesucht und nach ihm gerufen, aber er blieb verschwunden. Wir haben die Tierarztpraxen in der Umgebung angerufen und auch bei der Kadaversammelstelle. Nichts. Dann haben wir Garfield der Schweizerischen Tiermeldezentrale gemeldet und Fundmeldungen durchsucht, doch auch da: nichts. Kein Lebenszeichen, gar nichts. Sechs ewig lange Wochen lang.

Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Es hat keinen Tag gegeben, an dem ich nicht geheult habe. Garfield schläft sonst immer bei mir, links neben meinem Kopf. Das ist sein Platz, dort schläft er fast jede Nacht. Und ich kann nicht schlafen, wenn er nicht bei mir ist. Es war der Horror. Die Ungewissheit war kaum auszuhalten. Von Tag zu Tag ist es schlimmer geworden. Die Hoffnung wich mehr und mehr der Verzweiflung, der Angst, dass Garfield vielleicht doch nicht mehr nach Hause kommt. Aber die Hoffnung habe ich nie aufgegeben.

Romeo, Garfields Halbbruder – sie sind am gleichen Tag auf demselben Bauernhof in Arbolzwil zur Welt gekommen – war ganz komisch damals. Er ging kaum noch raus und hat extrem die Nähe zu uns gesucht. Er ist sonst kein richtiger Schmusekater, aber damals war er sehr anhänglich. Auch er hat Garfield wohl sehr vermisst.

Am 1. Juli, ich erinnere mich wie wenn es gestern gewesen wäre, haben wir die Fussball-Europameisterschaft angeschaut, Spanien gegen Italien. Spanien hat gewonnen und wir haben ein Glas Prosecco getrunken, als etwa um halb zwölf das elektronische Katzentürli gepiepst hat. Früher sind ständig Nachbarskatzen zu uns hineingekommen, deshalb haben wir ein Kläppli mit Chipfunktion montiert. So können nur Romeo und Garfield rein, und Romeo war drinnen. Es musste also Garfield sein!

Völlig euphorisch ist mein Freund runtergerannt, ich hinterher. Er schreit, nimmt Garfield auf den Arm. Ich habe nur gesehen, dass er völlig verstrubbelt und abgemagert war. «Schau nicht!», hat mein Freund gesagt, «Ruf deine Mutter an, wir müssen zum Tierarzt – Notfall.» Ich habe wie in Trance meine Mutter angerufen. Sie ist sofort gekommen und hat uns zur Tierklinik gefahren.

Garfields linkes Hinterpfötchen war halb abgetrennt, der Rest hing in Fetzen. «Wir müssen es wohl amputieren», hat der Tierarzt gesagt. «Wir können das machen. Oder Sie lassen ihn einschläfern.» Ich war völlig irritiert. Wieso fragt der, ob ich meine Katze einschläfern lassen wolle?! Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. «Ich will meinen Garfield wiederhaben», habe ich gesagt, «ist doch mir egal, ob er nur drei Pfoten hat!»

Eine Ärztin hat Garfield dann operiert, sechs Stunden lang. Sie konnte seine Pfötchen wieder recht gut herstellen. Das rechte fehlt zur Hälfte, beim linken wächst eine Kralle nicht mehr nach. Das behindert Garfield aber gar nicht. Er rennt und hüpft und klettert wieder wie früher. Wahrscheinlich ein Mähunfall, hat die Ärztin gemeint, so ein gerader, präziser Schnitt könne nur von einer Mähmaschine stammen. Wieso Garfield nicht schon früher nach Hause gekommen ist und wo er die ganze Zeit gesteckt hat, wissen wir nicht.

Zwölf Tage musste Garfield in der Klinik bleiben, weil er so schwach war, so stark abgemagert. Und die sechsstündige Operation unter Vollnarkose hat natürlich zusätzlich an seinen Kräften gezehrt. Er hat sich in dieser Zeit möglichst nicht bewegen dürfen, musste meist im Käfig bleiben. Das war schlimm für ihn. Und obwohl er der Liebling der Tierarztpraxis war – sie haben ihm auf die Bandage Herzli geklebt –, wurde sein Aufmerksamkeitsbedürfnis wohl nicht ganz gestillt. Ich glaube, das hat ihm zu schaffen gemacht. Garfield ist ein Schmusekater und er verlangt die volle Aufmerksamkeit. Wenn wir ihn besucht haben, haben wir ihn schon von Weitem schreien hören. Er hat sich sehr gefreut, wenn wir gekommen sind. Wenn wir aber wieder gegangen sind, ist er fast Amok gelaufen. Er wollte partout nicht dort bleiben. Aber sie mussten ihn behalten.

Am 13. Juli haben wir ihn endlich nach Hause holen dürfen. Am Anfang durfte er nicht raus. Ein Monat Hausarrest, das hat ihm natürlich auch nicht gepasst. Garfield ist fast durchgedreht. Und Romeo war die ersten beiden Tage ganz komisch. Vermutlich hat er das Spital gerochen. Er hat Garfield nicht recht über den Weg getraut, hat ihn schief angeschaut und angefaucht. Garfield hat die Welt nicht mehr verstanden; er war völlig perplex. Es hat zwei, drei Tage gedauert, bis die beiden wieder miteinander gespielt und geschlafen haben.

Ich habe lange Mühe gehabt, Garfield wieder rauszulassen. Besonders wenn Mähzeit ist, mache ich mir Sorgen. Ich habe sogar überlegt, die beiden zu Hauskatzen zu machen. Aber da wäre ich auf grossen Widerstand gestossen. Die beiden sind es sich ja von klein auf gewohnt, draussen herumzustreunen.

Romeo ist heute wieder ganz der Alte. Garfield war seit dem Unfall nie wieder länger als einen Tag weg. Und er ist noch anhänglicher geworden als er vorher schon war. Er sucht die Nähe zu mir und meinem Freund noch extremer als früher. Und er schläft wieder bei mir, links neben dem Kopf, so dass ich wieder gut schlafen kann mit meinem schnurrenden Schatz.

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geschrieben von:
Andreas Krebs

Andreas Krebs

Bevor er laufen konnte, beobachtete Andreas Krebs vor allem Schnecken, Käfer und Ameisen. Bald faszinierten ihn auch schnellere Tiere wie Katzen und Hunde. Heute ist er Journalist und schreibt vor allem Reportagen und Porträts über Themen aus den Bereichen Umwelt und Gesellschaft. So will er dem Leser die Wechselwirkung Mensch-Natur-Mensch bewusst machen. Ausserdem schreibt Andreas Krebs Biografien.

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