Die Geschichte von Prinzessin Lizzy

Alles fing damit an, dass ich als Hobbyfotograf endlich mein kleines Heimfotostudio einrichten konnte, weil ein Raum in unserer gemeinsamen Wohnung frei geworden war. Völlig überraschend teilte mir meine damalige Partnerin mit, dass sie sich endlich eine Katze in unseren Haushalt holen wollte. Bereits hatte sie irgendwo im Winterthurer Umland einen Termin mit einer unbekannten Frau abgemacht, die aus einem Wurf noch ein Kätzchen abzugeben hatte. Ich war nicht sonderlich begeistert von der Idee – was hatte ich mit diesen vierbeinigen Kratzbürsten, die nur «Miau» zu sagen vermochten, am Hut?

Etwas genervt und gleichzeitig auch neugierig begleitete ich sie bei dieser Fahrt an einen mir sehr unsympathischen Ort, eine kleine Wohnsiedlung nahe der Kantonsgrenze. Bei einem der Reihenhäuser machten wir Halt und klingelten an der Haustüre, wo uns eine Mutter von zwei kleinen Jungen öffnete. Sie bat uns nicht hinein, sondern verschwand lediglich im Hausinnern, um mit einem schwarzweissen Katzenwelpen wieder an der Tür zu erscheinen. Nie werde ich diese unschuldigen, melancholischen Katzenaugen vergessen, die mir eindringlich sagten: «Bitte, bitte nehmt mich mit»! Ich hatte mich sofort in jenes total süsse Wesen verliebt, das ich nach einem Namensteil einer berühmten irischen Rockband benannte: Lizzy.

Lizzy bereitete nur Freude und das Thema Fotografie stand plötzlich gar nicht mehr so im Mittelpunkt. Einige Schicksalsschläge überschatteten mein bis dato nicht ganz einfaches Leben. Sie erfolgten sehr abrupt, immer unerwartet und ohne Vorankündigung. Und jedes Mal, wenn Lizzy spürte, dass es mir sehr schlecht ging, schlief sie neben mir; immer eine ihrer Pfoten auf meinem Arm haltend, damit ich überhaupt noch schlafen konnte.

Von Herzen gerne erfüllte ich alle Wünsche von Lizzy, auch jenen, rausgehen zu können, um einen winzigen Teil dieser Welt zu erkunden und jenes Gefühl von Freiheit auszukosten, das auch in mir selbst steckt. Zuerst mit einem Halsband, später ohne und ganz alleine. Eben selbstständig, frei, ungebunden und losgelöst.

Lizzy wurde erwachsen, entwickelte sich zu einer mutigen und sehr geschickten Jägerin – vielleicht auch zu einer Draufgängerin, die gerne Risiken einging; so wie ich, als ich zwischen 20 und 30 Jahre jung gewesen war. Eines schönen Tages, es war bereits Herbst und die Tage waren kürzer geworden, kam Lizzy abends nicht mehr nach Hause und blieb auch am darauffolgenden Tag fort.
Meinen Kopf voller Gedanken fuhr ich an diesem Tag mies gelaunt zu meiner verhassten Arbeitsstelle als Environment Manager bei einem grossen Finanzinstitut, eigentlich gar nicht fähig, meine relativ komplexe Arbeit zu bewältigen. Ich hätte lieber die Gegend nach Lizzy durchsucht, als mich mit Datenbankprogrammierung und deren Algorithmen zu beschäftigen, die mir so nutzlos wie noch nie zuvor erschienen: Prinzessin Lizzy war nicht mehr da!

Es verging ein weiterer furchtbar elender Tag. Ich hatte schon Plakate erstellt und überall verteilt, bereit, 500 Franken an denjenigen zu zahlen, der mir Lizzy wieder zurückbrächte. Ja, wahrhaftig, ich hätte meine ganze Kameraausrüstung verkauft, um Lizzy wieder zurückzubekommen! Sie bedeutete mir nichts mehr. Lizzy blieb aber verschwunden. Unendlich traurig begann ich mir einzureden, dass meine Prinzessin – jene bildschöne Freundin auf Samtpfoten – ausgezogen war, um vielleicht einem Prinzen zu begegnen, der ihr ein viel schöneres zu Hause anzubieten vermochte, als ich es konnte.

In meinem Herzen würde Lizzy immer weiterleben. Was man liebt, muss man loslassen, dachte ich. Ich hatte doch schon einige ganz liebe Menschen, die einmal in meinem Leben gewesen waren, loslassen müssen! Warum nicht auch Lizzy, meine schönste und liebste Freundin?

Weitere quälende Tage vergingen – in meinem tiefsten Inneren hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Lizzy zurückkehrte, aber meine Ratio sagte mir etwas anderes: Sie hämmerte auf mich ein – Lizzy ist tot, tot, du musst sie vergessen, es muss weitergehen. Es begann zu regnen in jener Nacht, die bleiern mich fast zu erdrücken drohte, obgleich ich Regen liebe, den Tropfen, die ans Fenster prasseln, gerne zuhöre, und meinen Gedanken nachhänge. Morgens um halb drei wachte ich auf. Ich glaubte eine Stimme zu vernehmen, die mich eindringlich bat, die Haustür zu öffnen. Kaum bekleidet tat ich dies, um in die Nacht hinauszutorkeln, um vielleicht ein letztes Mal nach Lizzy zu suchen und ihren Namen in die Dunkelheit und ihr amorphes Antlitz herauszuschreien!

Da stand Lizzy vor mir, und mit einem Satz war sie in der Wohnung, völlig durchnässt und erschöpft suchte sie nach dem Wasser- und Futternapf, die beide immer noch da standen: Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, sie wegzuräumen. Ich vermag es nicht in Worte zu fassen, wie sehr mein Herz über dieses Wiedersehen mit Prinzessin Lizzy gelacht hat! Es war wohl bisher der schönste Moment in meinem Leben gewesen.

Schnurrend schmiegte Lizzy ihr Köpfchen an meine Beine, nachdem ich sie mit ihrem Lieblingsfutter verwöhnt hatte und gemeinsam, aneinander gekuschelt schliefen wir die restliche Nacht durch.

Noch heute mache ich mir Sorgen, wenn ich Lizzy rauslasse, ihr jene Freiheit gönne, die ich schon längst gesucht, aber nie gefunden habe, die ich wohl erst an meinem letzten Tag erfahren werde, so wie jener Mann namens Jean Valjean, der ich manchmal bin.

In einem Weltgefüge, dessen einzige Konstante nur die Wandlung ist, bleibt jedoch unbedingt festzuhalten, dass meine Prinzessin Lizzy und ich immer füreinander da sind – unsere tiefe Freundschaft vermag niemand auszulöschen; denn sie ist eingebrannt, einem innersten Stigma gleich, das allzeit über allem steht!

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Ein Kommentar zu “Die Geschichte von Prinzessin Lizzy

  1. Katzenamsel

    wunderschön….
    man kann garnicht aufhören zu lesen
    danke.
    wirklich schön geschrieben
    ich hab eine prinzessin Puschelschwanz, auch eine graziöse. hihi

    Antworten

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