Brachyzephalie – menschengemachtes Leid

Brachyzephalie ist geprägt von einem stark verkürzten Schädel, insbesondere der Nase und des Unterkiefers. Dadurch kommt es zu lebenslangen, teils qualvollen gesundheitlichen Schäden. Auch Katzen sind betroffen. Dagegen können Halter, Verbände und Züchter etwas tun.

Viele der beliebtesten Katzen auf Instagram sind Vertreter der Rassen Exotisch Kurzhaar und Perser: Pudge the Cat, Fitzroy, Snoopy Babe oder Princess Monstertruck. Niedlich sehen sie aus mit ihren Stupsnasen und teils plüschigem Fell. Vom eventuellen Schicksal solcher Rassen zeugt die namensgebende Zahnfehlstellung des letztgenannten Instagram-Stars, die die schwarze Perserkatze nicht erst seit einem tragischen Unfall, sondern bereits seit ihrer Geburt begleitet.

So wie Princess Monstertruck leiden viele Katzen unter einer Fehlstellung des Gebisses. Grund ist ihr verkürzter Schädel. Rassen wie Perser, Exotisch Kurzhaar, Britisch Kurz- und Langhaar sind besonders von Brachyzephalie betroffen.

Ein Zuchtziel mit Folgen

«Brachyzephal» bedeutet kurzköpfig (aus dem Griechischen brachis = kurz und cephalus = Kopf) und zieht oft gleich mehrere gravierende Gesundheitsschäden nach sich. Je höher der Grad der Kurzköpfigkeit, desto schwerwiegender die gesundheitlichen Konsequenzen. Durch den verkürzten Kiefer sind die Zähne oft nicht hintereinander, sondern verschoben angeordnet. Häufig fällt den Katzen aufgrund des verkürzten Schädels oder der Zahnfehlstellung die normale Nahrungsaufnahme schwer, wie sicherlich bei Princess Monstertruck der Fall. 

Da die Nase ebenfalls verkürzt und zurückgesetzt ist, kommt es zu einer Verengung oder Verstopfung der Tränennasenkanäle. Den Katzen tränen ständig die Augen, was man an den hierfür typischen braunen Schlieren in den Augenwinkeln leicht erkennen kann. Zudem leiden betroffene Katzen häufig an Entzündungen im Nasen- und Rachenraum. Des Weiteren sind aufgrund der verkleinerten Nasenhöhle die Nasenmuscheln fehlgestaltet. Sie verstopfen die normalerweise freien Atemwege. Die erschwerte Atmung führt wiederum oftmals zu einem vergrösserten Gaumensegel, was dann den Eingang zur Luftröhre versperrt. Die Folge: Die Tiere bekommen ständig zu wenig Sauerstoff – so als würden wir mit Dauerschnupfen und zugeschwollener Nase herumlaufen und deswegen unter chronischer Atemnot leiden.

Kindchenschema mit Stupsnase

Diese dramatischen gesundheitlichen Schäden haben die Katzen allein ihrem süssen Aussehen zu verdanken. Um den Charme dieses charakteristischen Gesichts wusste schon der österreichische Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Bestimmte physische Merkmale des infantilen, runden Gesichts wie einen gedrungenen Kopf, grosse Augen und kleine Nase bezeichnete er als «Kindchenschema», das Menschen als sehr niedlich empfinden. Rassen, die diesem entsprechen, erfreuen sich deshalb besonderer Popularität. So führte es in den vergangenen Jahrzehnten auch zum Irrweg der Katzenzucht und veränderte einige der ältesten und über lange Zeit unverändert gebliebenen Rassen systematisch. Durch menschliche Selektion bekamen die Samtpfoten einen immer stärker verkürzten Gesichtsschädel. Ohne Rücksicht auf gesundheitliche Nachteile wurde einem äusserst fragwürdigen Zuchtziel mit «nasenlosem» Schönheitsideal gefolgt. Das oftmals mässige Temperament der betroffenen Rassen machte sie für ein Leben in der Stadtwohnung zusätzlich attraktiv. Dabei könnte das ruhige Wesen eventuell schlicht und einfach eine Folge des ständigen Sauerstoffmangels sein.

Menschengemachte Erbkrankheit

Teils ging die Zuchtselektion ins Extreme: Bei dem Peke-face-Typus – in namentlicher Anlehnung an den ebenfalls ausgeprägt brachyzephalen Pekinesen – ist der Schädel mit den grossen, ausdrucksvollen Augen am stärksten gedrungen, die Stirn nach vorne gewölbt und der Nasenspiegel zwischen die Augen zurückgesetzt positioniert. Neben der menschengemachten extremen Obstruktion der Atemwege wurden bei diesen Extremzüchtungen immer häufiger auch neurologische Ausfallerscheinungen auffällig. Laut der Justus-Liebig-Universität in Gießen ergaben pathologische Untersuchungen tödlich verlaufener Fälle einen massiven Wasserkopf (Hydrozephalus internus) als Todesursache. Der Verdacht kam auf, dass ein Zusammenhang zwischen der extremen Brachyzephalie und dem Auftreten des Wasserkopfs bestehen könnte.

Um dem Verdacht nachzugehen, wurden in Zusammenarbeit mit Schweizer und Deutschen Züchtern sowie Universitäten 45 Perserkatzen mittels Magnetresonanz- und Computertomografie untersucht. Die gemeinsame Studie der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Vetsuisse Fakultät Bern brachte Grauenvolles zutage: «Mit zunehmender Reduktion des Gesichtsschädels wird auch das Volumen des Gehirnschädels reduziert und bietet dem Gehirn weniger Platz. Die Folge ist eine Verlagerung des Kleinhirns in den Wirbelkanal, die für die Entstehung des Hydrozephalus internus mit verantwortlich gemacht wird», heisst es auf der Internetseite der Justus-Liebig-Universität. «Die Nasenmuscheln der Katzen sind in die Schädelhöhle zurückverlagert und üben Druck auf die vorderen Hirnabschnitte aus.» Die Analyse der Schädelmodelle ergab noch weitere Abnormalitäten des Schädels von Peke-face-Katzen, unter anderem asymmetrisch angeordnete Augenhöhlen und teilweise fehlende Nasenknochen.

Manchmal kann das Brachyzephale Syndrom chirurgisch behandelt werden. Eine Operation kann viele Symptome deutlich verbessern, eine Heilung ist jedoch unmöglich. Zu schwerwiegend und komplex sind die Auswirkungen der Kurzköpfigkeit. Der Grund, weshalb Rassen mit Brachyzephalie häufig als Qualzucht bezeichnet werden.

Was sagt das Gesetz?

Qualzuchtmerkmale werden mittlerweile leider oft als vollkommen normal empfunden. Gesetzlich ist jedoch klar: Qualzucht ist verboten. Die entsprechenden Paragrafen sind eindeutig. Die Praxis gestaltet sich dennoch schwierig. So ist das Qualzuchtverbot in Artikel 10 des Schweizer Tierschutzgesetzes sowie Artikel 25 bis 30 der Tierschutzverordnung geregelt. Abs. 1 Art. 10 TSchG besagt, dass «keine durch das Zuchtziel bedingten oder damit verbundenen Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen» verursacht werden dürfen. Art. 25 TSchV präzisiert dies, lässt aber Raum für Unklarheiten. «Insofern können das Tierschutzgesetz und die Tierschutzverordnung grundsätzlich auch auf die Brachyzephalie angewendet werden», meint Martina Schybli vom Schweizer Tierschutz STS. «Da von Katzen allerdings keine Leistung verlangt wird, werden die Probleme oft nicht erkannt oder weniger stark gewichtet», kritisiert die Tierschützerin.

Seit 2014 gilt zudem eine Amtsverordnung des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zum Tierschutz beim Züchten. Betroffene Tiere müssen folglich einer Belastungsbeurteilung unterzogen werden. Auch Skelett- und Schädeldeformationen gelten als Indizien bei der Bewertung, da sie zu mittleren oder starken Belastungen führen können. «Diese Verordnung nimmt zudem die Züchter vermehrt in die Verantwortung und zeigt auf, unter welchen Bedingungen gezüchtet werden darf», verweist Schybli auf die Züchter, die nicht nur für Zuchtziele, sondern ebenso für Ausstellungen und Prämierungen von Zuchttieren verantwortlich sind. Starke Ausprägungen von Kurzköpfigkeit, die unter anderem zu Atemnot oder Zahnproblemen führen, dürften eigentlich nicht gezüchtet werden und wie alle Merkmale, die das Tierwohl negativ beeinflussen, nach Meinung des STS nicht zu Zuchtzielen deklariert werden. «Es kann nicht sein, dass Tiergesundheit und Wohlbefinden sogenannten ‹ästhetischen› Vorstellungen untergeordnet werden.» Aus Sicht des STS sei es somit zwingend nötig, dass sich die Zuchtausrichtung wieder hin zu normalen Kopfdimensionen und Gebissverhältnissen orientiere. Dennoch: «Anlässlich von Katzenausstellungen beispielsweise finden sich immer wieder belastete Tiere Schweizer Herkunft», so Schybli. Offensichtlich fehlt es an der Umsetzung durch die Strafverfolgungsbehörden. Ein Punkt, den auch die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) seit Langem kritisiert.

Die Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin (SVK) hat daher zusammen mit der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft (SKG), der Schweizerischen tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (STVT) sowie der Vetsuisse Fakultät der Universität Bern einen Massnahmenkatalog entwickelt, der seit Anfang 2018 systematisch umgesetzt wird. Unterstützt wird die Kampagne von der Gesellschaft der Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST), dem Schweizer Tierschutz STS und dem BLV. Leider fokussiert die Kampagne nur auf betroffene Hunderassen. Sind Katzen eventuell gar nicht stark von der Brachyzephalie betroffen? «Keineswegs!», sagt Dr. Marie Müller-Klauser, Vizepräsidentin des SVK. «Natürlich leiden bestimmte Katzenrassen ebenfalls extrem stark an den Folgen der Brachyzephalie. Die Kampagne über das Brachyzephaliesyndrom haben wir bewusst nur zu Hunden lanciert, um schneller Veränderungen zu erreichen», erklärt Müller-Klauser. So seien zur nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit der betroffenen Tiere unter anderem eine Zusammenarbeit mit Züchtern und bessere Beurteilungstests notwendig. «Je kleiner jedoch die involvierte Gruppe ist, desto schneller können wir Konkretes erreichen.» Das Publikum, so hofft man beim SVK, werde dann durch die Hundekampagne sensibilisiert und den Zusammenhang zu Katzen selbst herstellen.

Glaubt man Prof. Dr. Gerhard U. Oechtering, Klinikdirektor und Leiter der HNO-Abteilung der Kleintierklinik der veterinärmedizinischen Fakultät Universität Leipzig, könnte es für eine Rückkehr zu einer funktionstüchtigen Nase bereits zu spät sein. Beim 26. Jahresforum des American College of Veterinary Internal Medicine vor knapp zehn Jahren gab er sich zumindest sehr pessimistisch. Zwar gebe es eine Liste möglicher Behandlungsmethoden, eine Langzeitlösung für dieses «menschengemachte Desaster» sei allerdings ausschliesslich das Beenden der übertriebenen und falschen Zuchtselektion.

Mittlerweile konnte man immerhin ein für Kurznasigkeit verantwortliches Gen zumindest beim Hund bestimmen, doch gestaltet sich die Bekämpfung solcher Gendefekte bekanntlich schwer. Breitflächig angelegte, rassespezifische Screeningvorschriften haben zum Beispiel in Österreich bei Hunden gezeigt, dass sich die meisten genetischen Krankheiten nicht in einem Jahrzehnt wegzüchten lassen. Manchmal scheint eine Elimination gar unmöglich.

INTERVIEW

Dr. med. vet. Daniel Koch ist Facharzt für Kleintierchirurgie in Diessenhofen. Hunde und Katzen mit Problemen aufgrund von Kurznasigkeit sind Kochs besonderes Interessengebiet. Im Rahmen der von der Schweizerischen Vereinigung für Kleintiermedizin gelaunchten Kampagne gegen Brachyzephalie ist Koch aktiv als Vertreter der praktizierenden Tierärzte tätig.

Herr Koch, haben Sie viele brachyzephale Katzen als Patienten?

Nein, da gibt es nicht so viele, etwa zwei Katzen pro Jahr mit Atemproblemen werden bei uns vorstellig. Es gibt natürlich noch weit mehr brachyzephale Katzen in unserer Praxis, aber diese haben andere Probleme.

Was ist der Hauptgrund, weshalb die Katzen vorstellig werden?

Die Katzen mit Atemwegsproblemen werden vorgestellt, weil die Nase zu ist, es oft Ausfluss gibt und deutliche Geräusche im Zusammenhang mit der Atmung festgestellt werden.

Zu welchen Problemen führt die Brachyzephalie?

Wegen der kurzen Nase können die Katzen mit hohen Temperaturen schlecht umgehen. Dies deshalb, weil Katzen und Hunde nicht schwitzen können und deswegen für den Temperaturausgleich auf eine funktionierende Atemgaspassage durch die Nase angewiesen sind. Eine kurze Nase bedeutet dann also schlechte Thermoregulation. Als Kompensation wird der Atemunterdruck erhöht, was zum Kollaps der Weichteile, insbesondere der Nasenflügel führt. Diese Katzen zeigen daher meistens Kurzatmigkeit und verstopfte Nasenlöcher.

Woran erkennt man, ob die Katze Probleme durch ihre Kurzköpfigkeit hat?

Sie niesen viel und atmen angestrengt sowie deutlich hörbar. Weil die Katzen meistens drinnen leben, akzentuiert sich das Problem mit dem Einschalten der Heizung.

Gibt es weitere Faktoren, wodurch die Beschwerden zunehmen?

Ja, hohe Temperaturen drinnen oder draussen sowie körperliche Anstrengung steigern die Problematik. Unbehandelt führt der erhöhte Atemunterdruck zu immer enger werdenden Nasenlöchern und manchmal auch zu einem langen und dicken Gaumensegel. Dies engt wiederum die oberen Atemwege weiter ein und löst damit einen Teufelskreis aus, weil dann der Atemdruck weiter gesteigert werden muss, damit der Körper Sauerstoff bekommt und die Temperatur konstant gehalten werden kann.

Was passiert, wenn keine Behandlung erfolgt?

Unbehandelt leiden die Katzen an zu hohen Temperaturen und Sekundärinfektionen der Atemwege. Sie haben keine Leistung und bleiben meist im Haus. Sie sterben aber eigentlich nicht daran.

Welche Therapie oder operativen Eingriffe sind möglich?

Bei Katzen muss man meistens nur die Nasenflügel weiten. Das weitet die oberen Atemwege so weit, dass sie besser – aber nicht perfekt – atmen können. Das Beste wäre natürlich, wenn sehr kurznasige Katzen gar nicht gezüchtet würden. Wir sind zurzeit am Vermessen von Katzenschädeln, um daraus Grenzwerte für Brachyzephalie definieren zu können.

Wie stufen Sie die Zucht von brachyzephalen Katzen ein?

In jeder Rasse, auch bei den Persern, gibt es Katzen mit ausreichend langer Nase. Es geht also nicht darum, ganze Rassen zu verbieten oder an den Pranger zu stellen. Dies ist kontraproduktiv. Vielmehr sollten die Rassehüter erkennen, dass ab einem bestimmten Grad die Qualzucht erreicht wird und dann Gegenmassnahmen einleiten, welche die Rassen wieder in Richtung längerer Nasen führt. Hier treffen aber die Meinungen von extremen Züchtern und Tierärzten diametral aufeinander. Ich hoffe sehr, dass die Öffentlichkeit und potenzielle Katzenkäufer das Problem erkennen und den Wunsch äussern, längernasigen Tieren den Vorzug zu geben. Dies führt dann automatisch zur Zucht von gesunden Katzen.

Text und Interview: Regina Röttgen

geschrieben von:
Regina Röttgen

Regina Röttgen

Geduld gegenüber Tieren ist bei Regina Röttgen grenzenlos. Nach abgeschlossenem Philosophie- und Anglistikstudium hat sie, nach einer diagnostischen Odyssee für ihren Siamkater, die Ausbildung zur Tierheilpraktikerin gemacht und eine türkische Heimtierzeitschrift verlegt. Sie lebt im Südwesten der Türkei mit ihrem türkischen Mann, zwei Söhnen, zwei Katzen, einem Rudel Hunde und Hühnern ausserhalb eines kleinen Dorfes. Dort arbeitet sie als freiberufliche Autorin und Redakteurin. Neun Katzen haben sie bisher durch ihr Leben begleitet.