«Törtchen hat grosses Glück gehabt – und ich habe grosses Glück mit Törtchen»

Obwohl ihr Freunde davon abgeraten haben, hat Birgit Buchholz (58) einen verwilderten Kater bei sich aufgenommen. Eine märchenhafte Geschichte mit Happy End. Ich möchte Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, ein wahres Märchen erzählen – das Märchen von Törtchen. Machen Sie es sich bequem, es geht gleich los.

Es war einmal ein hübscher, zierlicher, schwarz-weiss gefleckter Kater mit einer frechen schwarzen Augenmaske. Er lebte seit über sechs Jahren als heimatloser Streuner in verwilderten Gärten. Niemand ausser ihm wusste, woher er kam, wer seine Menschen gewesen waren und warum sie ihn im Stich gelassen hatten. Vielleicht, weil durch eine alte Verletzung sein rechtes Auge erblindet war?

Einer der verwilderten Gärten gehörte einem alten Mann. Täglich stellte er dem als bissig verschrienen verwilderten Kater und ein paar Leidensgenossen ein wenig Futter vor die Haustür, doch zum Sattwerden reichte es nie. Und fast ständig hatte er grossen Durst, denn frisches Wasser spendete nur der Regen. So wurde der Kater immer schwächer. Er entwickelte eine Niereninsuffizienz. Und oft war er erkältet und hatte Schnupfen, denn ein trockener, warmer Unterschlupf fehlte. So wurde er immer magerer und auch sein sehendes Auge begann zu tränen. Überdies spürte er eines Tages plötzlich einen heftigen, beissenden Schmerz in seiner Brust: Er war angeschossen worden! Ein Luftgewehrprojektil steckt seither unter seiner Haut.

Eines Tages schickte der Himmel, der auch die kleinen Tiere liebt, eine gute Fee zu ihm. Denn der alte Mann, der ihn fütterte, hatte irgendwann doch Mitleid und benachrichtigte die Koblenzer Katzenhilfe. Dort gab es eine weise, heilkundige Frau, die Erfahrung hatte mit der Pflege augenkranker Katzen. Sie hatte geschickte, sanfte Hände und liebte alle Katzen. Nachdem sie den Kater gefangen hatte, redete sie sanft auf ihn ein und streichelte ihn beruhigend. Das hatte er so lange entbehrt! Sofort wurde er still, fasste Vertrauen und drückte sich fest an die gute Fee, die ihn in die Arme nahm und über seine Stirn strich. Dann brachte sie ihn zu einer Tierärztin, die sich seine Augen genau ansah. Draussen, ohne menschliche Fürsorge, sagte diese, würde der Kater völlig erblinden und hilflos und allein im Freien sterben. Und da nahm ihn die gute Fee kurzerhand mit zu sich ins gelbe Feenhaus. «Du kannst so eine Katze nicht reinholen, der geht dir die Wände hoch!», hatten Freunde sie gewarnt. Doch was sollte sie sonst tun?

Gewiss, das Leben im Haus war ungewohnt für den Kater, doch war es trocken und warm und er fand dort alles, was er sich nur wünschen konnte: feinstes Fressen so viel er wollte, ständig frisches Wasser, einen Kletterbaum mit kleinen Höhlen zum Verstecken und Schlafen, weiche Teppiche, Decken und Kissen. Und ein sauberes Katzenklo. Was für eine Überraschung! Er wusste sofort, wie das funktionierte. Und die Fee kümmerte sich hingebungsvoll um ihn. Bis zu sechsmal am Tag tat sie ihm Salben und Tropfen in die Augen. Das nervte und am Anfang wehrte er sich ein bisschen. Später nahm er es hin, weil er merkte: Das ewige Kratzen, Brennen und Jucken in den Augen liess nach, und es tat gut, wenn die Äuglein mit einem weichen, kühlen Läppchen sanft gereinigt wurden. Auch konnte er wieder besser sehen!

Die gute Fee nahm sich viel Zeit für den Kater, sie setzte sich zu ihm auf den Boden, sprach leise mit ihm und sang ihm vor. Er ist so zart, sagte sie, und umsorgte ihn wie etwas sehr Kostbares. Bald kam er zu ihr, kuschelte sich auf ihren Schoss und liess sich entspannt und voll Vertrauen im Arm halten und streicheln. Er hatte ein unendliches Bedürfnis nach Körperkontakt. Langsam erholte er sich und nahm an Gewicht zu. Sein aussergewöhnlich scharfes Gehör verschaffte ihm ein Bild davon, wo er jetzt lebte: in einem Haus inmitten von Gärten voller Vogelgezwitscher nämlich, in dem er bald die ganze unterste Etage bewohnen durfte, mit einem noch schöneren Katzenwohnzimmer, in dem ein gemütlicher Korbsessel stand. Darin verbrachte er in einem Nest aus weichen Kissen und Decken zusammengerollt die meiste Zeit des Winters, endlich warm und geborgen. Sein Fell wurde flauschig und begann zu glänzen, und sein Katerköpfchen bekam runde Bäckchen. Für die Welt da draussen interessierte er sich gar nicht mehr. Vielmehr liebte er es, schnurrend und zufrieden blinzelnd zuzusehen, wie die zwei Menschen im Feenhaus arbeiteten, und ihren Stimmen zu lauschen, wenn sie sich unterhielten. Der Kater hatte eine bezaubernde, liebenswürdige Art, die Herzen der Menschen zu gewinnen. Zum Anbeissen, so süss, fand eine Freundin der guten Fee, und gab ihm den Namen «Törtchen».

Und die gute Fee, die ihn gerettet hatte, wurde vom Kater täglich mit seinem schönsten Schnurren, Katzenküsschen und Köpfchenreiben belohnt. Besonders genüsslich kuschelte es sich abends auf dem Schoss der guten Fee, wenn sie in einen Kasten mit bunt flimmernden Bildern sah und dabei ausnahmsweise einmal länger still sass. Da hielt er ihre Hand mit der Pfote, legte seinen Kopf darauf und döste, während die andere Hand ihm von Zeit zu Zeit Kinn und Öhrchen kraulte. «Törtchen wird von Tag zu Tag süsser», sagte die gute Fee, «er ist eine Zierde seiner Art und der beste Hauskater, den man sich nur wünschen kann!»

Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute glücklich und in Freuden zusammen unter dem Dach des gelben Feenhauses und dem immerwährenden Vogelkonzert im Garten.

 

Aufgezeichnet von Andreas Krebs

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geschrieben von:
Andreas Krebs

Andreas Krebs

Bevor er laufen konnte, beobachtete Andreas Krebs vor allem Schnecken, Käfer und Ameisen. Bald faszinierten ihn auch schnellere Tiere wie Katzen und Hunde. Heute ist er Journalist und schreibt vor allem Reportagen und Porträts über Themen aus den Bereichen Umwelt und Gesellschaft. So will er dem Leser die Wechselwirkung Mensch-Natur-Mensch bewusst machen. Ausserdem schreibt Andreas Krebs Biografien.

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