Ragtime ist gerne im Mittelpunkt

Karin Kühner (46) ist diplomierte Aktivierungsfachfrau im Altersheim Perla Park in Zürich. Ein- bis zweimal im Monat nimmt sie ihren Ragdoll-Kater Ragtime mit zum Tierstreichelnachmittag. Er ist der Star der tiergestützten Therapie.

Aufgezeichnet von Andreas Krebs

Unser Kater Ragtime, ein Ragdoll, heisst eigentlich Ragtime of Golden Coast – von der Goldküste. Aber nicht von Zürich, in Erlenbach haben wir ihn gekauft vor acht Jahren. Mein Mann und ich haben früher selber Ragdoll-Katzen gezüchtet. Mir gefällt der Charakter dieser grossen Katzen. Sie sind sehr menschenbezogen und anhänglich. Das hat mich immer fasziniert an dieser Rasse. Vor 25 Jahren haben wir aber aufgehört zu züchten. Ragtime haben wir gekauft, weil wir noch einmal eigene Junge wollten. Nicht zum Verkaufen, sondern für die Therapie im Altersheim.

Ich arbeite seit 30 Jahren im Altersheim Perla Park in Zürich, zunächst als Pflegefachfrau. Vor vier Jahren bin ich in die Aktivierung gewechselt und habe auch eine entsprechende Ausbildung gemacht. Da geht es um die Alltagsgestaltung. Ich organisiere für die alten Menschen Konzerte, mache Ausflüge, Gedächtnistraining und geistige Fitness am Computer. Auch die Therapie mit Tieren gehört dazu.

Wir haben im Altersheim schon lange Meersäuli; die haben wir von klein an in die Therapie eingebunden. Dann habe ich unseren Hund Domino mitgenommen, einen Appenzeller-Mischling. Er ist kein ausgebildeter Therapiehund, einfach ein normaler Hund, und das hat gut geklappt. So bin ich auf die Idee gekommen, es auch mit den Katzen auszuprobieren. Ich weiss, dass viele unserer Bewohner früher selber Katzen hatten. Es gibt aber kaum Therapiekatzen, weil Katzen in der Regel sehr revierbezogen sind.

Ich habe Ragtime schon ins Altersheim mitgenommen, als er vier Monate war. Er hat sich relativ schnell daran gewöhnt. Auch seine Kinder habe ich früh sozialisiert, sonst funktioniert das nicht mit der Arbeit im Altersheim. Wichtig ist, dass man das in Ruhe macht und die Tiere nicht überfordert. Die Katzen haben im Altersheim immer denselben Raum, in dem ihr Körbchen, der Napf und das Kistchen stehen. Das bleibt immer gleich. Dorthin können sich die Katzen jederzeit zurückziehen; das ist ihr kleines Revier. Die Therapie dauert eine Stunde. Dann haben die Tiere zwei Stunden Pause. In dieser Zeit streunt Ragtime oft herum und besucht die Bewohner. Danach ist noch mal eine Stunde Therapie angesagt. Die vier jungen Katzen, die wir behalten haben – sie sind mittlerweile auch schon fünf Jahre alt –, kommen nur zwischendurch mit. Ragtime ist am geeignetsten für die Arbeit. Er mag die alten Menschen und steht gerne im Mittelpunkt.

Den Anlass «Tierstreicheln» gibt es ein- bis zweimal im Monat. Da kommen jeweils rund ein Dutzend Bewohner. Wir achten darauf, dass es ruhig und nicht hektisch ist, denn Katzen sind sehr lärmempfindlich. Aber im Altersheim ist es ohnehin ruhig. Die Bewohner sitzen um einen grossen Tisch, auf dem Ragtime und die Meersäuli sind, manchmal auch der Zwerghase einer Kollegin. Der Tisch ist so breit, dass keiner bis zur Mitte hinlangen kann. So haben die Tiere stets die Möglichkeit auszuweichen. Das ist wichtig. Domino ist meist auch dabei. Den Hund rufen die alten Menschen zu sich und spielen mit ihm. Für die Kaninchen und Meersäuli hat es Rüebli und Salat auf dem Tisch. Sie werden nicht gestreichelt, nur beobachtet.

An Ragtime haben die alten Menschen besonders viel Freude. Er liegt jeweils ganz entspannt auf dem Tisch und lässt sich streicheln. Auf den Schoss nehmen dürfen sie ihn nicht, nur streicheln. So kann sich Ragtime zurückziehen, wenn es ihm zu viel wird. Wenn eine Katze keine Lust mehr hat, dann hat sie einfach keine Lust. Das ist dann einfach so. Aber Ragtime zieht sich eigentlich nie zurück. Ich kann nicht für ihn reden, aber ich habe das Gefühl, er geniesst das.

Die Begegnung mit Tieren löst bei den alten Menschen viel aus. Manche mussten plötzlich von zu Hause weg. Sie sind zum Beispiel umgefallen, kamen ins Spital und da hiess es dann, sie könnten nicht mehr nach Hause und müssten direkt ins Heim. Das ist furchtbar für die Leute. Da braucht es immer eine Zeit, bis man eine Beziehung aufbauen kann. Gerade bei den Menschen, die sich eher zurückziehen oder nicht so schnell Vertrauen fassen, sind Tiere ideale Brückenbauer. Viele Alte hatten selber Tiere, man kommt ins Gespräch miteinander, die Leute sind entspannt. So findet man über das Tier oft einen Zugang zu den Menschen.

Mit Demenzerkrankten zum Beispiel kommt man oft kaum ins Gespräch, weil sie so sehr in ihrer eigenen Welt sind. Wenn sie aber eine Katze sehen und die Katze streicheln, reden sie plötzlich. Sagen «Hoi Münggi, besch e liebe» oder den Namen, den ihre Katze hatte. Das löst so viel aus bei den Leuten – das ist beeindruckend. Zudem beruhigen Tiere wahnsinnig. Sonst will ja immer jeder etwas von den alten Menschen: sie waschen, herunterbringen zum Essen und so weiter. Die Tiere wollen nichts von ihnen. Sie sind einfach da.

Wir hatten eine Frau, die ist immer zum Tierstreichelnachmittag gekommen. Sie hatte selber Katzen und musste sie abgeben, als sie ins Heim kam. Sie liebte es, Ragtime zu streicheln. Plötzlich ist es ihr viel schlechter gegangen und es war klar, dass sie bald sterben wird. Da hat mich ihre Tochter gefragt, ob ich nicht vielleicht die Katze mitnehmen und sie für zwei, drei Stunden zu ihrer sterbenden Mutter ins Zimmer lassen würde. Das haben wir gemacht. Ragtime kannte die Frau, das Zimmer war ihm aber absolut fremd. Trotzdem hat er sich seelenruhig zu ihr ins Bett gelegt.

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