Eine grau getigerte Katze blinzelt in der Sonne. Ein paar Meter weiter rollt sich eine Artgenossin auf dem warmen Asphalt. Wohin man schaut, sieht man oranges, braunes, weisses, getigertes Fell. Ein Kleintransporter nähert sich. Doch die dösenden Katzen machen kaum Anstalten, den Weg freizugeben. Der Fahrer bremst geduldig ab, bis die Katzen Lust haben, sich langsam an den Rand der Strasse zu bewegen. Sie scheinen zu wissen, dass sie hier nicht einfach nur irgendwelche Tiere sind. Sie sind weder Streunerkatzen noch Haustiere. Denn wir sind auf Tashirojima, Japans wohl bekanntester Katzeninsel.
Text: Katharina Frucht
Hier sind die Katzen Publikumsmagneten. Ohne sie wäre nicht viel los. Die Fähre zum Festland würde wohl nur noch einmal täglich kommen. Der kleine Kiosk und die wenigen Restaurants und Herbergen der Insel hätten kaum Besucher. Die Katzen von Tashirojima sind wahre Maneki-neko, Winkekatzen. Die japanischen Glücksbringer haben es als Plastikfi guren um die ganze Welt geschafft.
Maneki-neko
Um die Figur der winkenden Katze, die in Japan bereits seit 200 Jahren allgegenwärtig ist, ranken sich so einige Entstehungsmythen. Einer davon besagt, dass einst ein Mönch eine kleine weisse Katze hielt. Doch sein Tempel war so arm, dass er sie nicht mehr versorgen konnte. Daher schickte er sie schweren Herzens fort. Das treue Tier blieb aber in der Nähe. Als eines Tages ein Samurai am Tempel vorbeiritt , erblickte er die Katze, wie sie die Pfote hob, um ihn heranzuwinken. Als er sich auf sie zu bewegte, schlug hinter ihm, wo er zuvor noch gestanden hatt e, der Blitz ein. Der mächtige Mann war der Katze so dankbar, dass er sie zur buddhistischen Gott heit erhob. Den kleinen Tempel in Tokio förderten er und seine Nachkommen fortan grosszügig und nannten ihn Gotokuji. Heute gehört er zu den schönsten Tempeln der Stadt. Ein Schrein auf dem Gelände ist der winkenden Katze gewidmet. Den erstaunten Besucher erwarten dort unzählige weisse Maneki-neko in verschiedensten Grössen. Sie stammen alle vom Gotokuji und werden von Menschen, deren Wünsche sich erfüllt haben, dorthin zurückgebracht – oft nach Jahrzehnten. Es heisst, dass die Katzenfi guren mit dem Heben der rechten Pfote Glück und Wohlstand und mit der linken Gäste und Besucher anlocken. Die Katzen von Tashirojima tun beides.
Tashirojima
Auf Tashirojima leben mehr Katzen als Menschen. Von den etwa hundert Zweibeinern hier ist keiner unter fünfzig. Die Senioren rollen gemächlich mit ihren Elektromobilen über die Insel. Genau wie die Menschen hier von und mit dem Meer leben, so leben sie auch von und mit den Katzen. Man legt Wert auf eine ungestörte Vermehrung der Tiere – anders als in manchen Städten Japans, wo Streunerkatzen systematisch getötet werden. Auch bei unserem Gastgeber Herrn Hama, der eine Herberge auf der Insel betreibt, gedeihen die Katzen prächtig. In einer Kiste vor dem Haus spielen zwei schwarze Kätzchen mit weissen Näschen und zwei getigerte. Frau Hama hat Alufolienstreifen aufgehängt, die im Wind flattern und die Sonne reflektieren. Sie sollen Raubvögel davon abhalten, sich dem Nachwuchs zu nähern.
Lesen Sie den ganzen Artikel von Katharina Frucht im Katzen Magazin 3/2015.