Amelias Reise

Liz Clark kreuzt mit einem Segelboot durch den Pazifik. Mit dabei ist Katze Amelia. Ihre gemeinsame Geschichte ist eine Geschichte von Entdeckerlust, kühner Seefahrerei, gegenseitigem Respekt und Treue, des Loslassens und Wiedergewinnens – und sie folgt der jahrhundertealten Tradition von Katzen auf Schiffen.

 

Eisige, gletscherwassergrüne Augen blicken in die Videokamera, unbeweglich und unlesbar. Amelia, eine braun-grau-fuchsfarbige Tigerkatze mit viel Weiss, schaut in die Linse und hindurch. Fast fühlt es sich an, als könne sie den Zuschauer sehen. In sich ruhend, selbstbewusst – und ganz schön keck. In dem Video «Amelia the Tropicat» (zusammengesetzt aus «tropical» und «cat») «erzählt» sie: «Ich bin Amelia. Ich wurde nach der grossen Amelia Earhart benannt. Und wir wissen alle, was ihr zustiess. Ich meine, was hat sie sich gedacht, mich an Bord dieses Schiffes zu bringen und mich dann nach jemandem zu benennen, der auf hoher See starb?» (Anmerkung der Autorin: Earhart ist eine im Pazifik verschollene Flugpionierin.) Ein Stossseufzer. «Aber so sind die Menschen – so egoistisch. Sie dachte, sie würde mich retten. Und nun lebe ich auf einem Schiff, umgeben von Wasser. Wer will denn so was?»

 

Moderne Nomadin

Als Liz Clark im November 2013 in einer verlassenen Dschungelvilla in Französisch-Polynesien die halbwüchsige Amelia findet, ist sie bereits eine gestandene Hochseekapitänin. Seit 2005 segelt die heute 36-Jährige allein an Bord ihrer kleinen Segeljacht «Swell» (etwa «Woge» oder «Dünung») durch den Pazifik: entlang der Küsten Mexikos und Zentralamerikas, der Galapagosinseln und nun Französisch-Polynesien. Sie übersteht zerstörerische Stürme in der Einsamkeit des Pazifiks und schlägt sich an unbekannten Ankerplätzen mit wenig Geld und Sprachkenntnissen durch.

 

Stets dabei: Ihre Surfbretter. Die Kalifornierin ist passionierte Surferin und immer auf der Suche nach entlegenen Surfspots. Durch ihre Reisen sieht sie viele paradiesische Orte, aber auch die katastrophale Meeresverschmutzung. Liz wird zur Umweltaktivistin. Sie engagiert sich in Umweltgruppierungen und bloggt auf ihrer Website für ihr Anliegen. Liz ist überzeugt, dass wir durch unser alltägliches Handeln auf die Umwelt einen grossen, positiven Einfluss ausüben können. Schon bevor Amelia in ihr Leben tritt, entscheidet sie sich für eine pflanzlich basierte Ernährung. «Ich bin der Ansicht, dass intelligente, fühlende und emotional komplexe Lebewesen nicht für den menschlichen Gebrauch ausgenutzt werden dürfen.»

 

So fragt sich Liz: Darf und kann ich Amelia ein Leben auf See zumuten? Ihre Lebensweise bringt mit sich, dass sie einen wenig geregelten Tagesablauf hat und die vielen Aufgaben als Skipperin alleine erledigen muss. Und Katzen sind ja an und für sich Landtiere. Dem Menschen schlossen sie sich erst an, nachdem dieser Häuser gebaut hatte. Dennoch ranken sich einige der abenteuerlichsten Katzengeschichten um seefahrende Katzen, die bei den Schiffsbesatzungen zudem ein ausserordentlich hohes Ansehen genossen.

 

Einsatzorte von Schiffskatzen waren Kriegs-, Handels- und Expeditionsschiffe. Gerade auf mehrmonatigen See-Expeditionen in entlegene Gegenden waren Katzen beliebte Gefährten. Sie waren zum Mausen wichtig, da es sich mit verdorbenem Proviant schlecht reist. Zudem hebt ein Schmusetier auf rauer See nach den überlieferten Worten vieler Seeleute die Moral ganz beträchtlich. Bekannte samtpfotige Crewmitglieder von Expeditionsreisen sind Matthew Flinders’ «Trim» und Robert Falcon Scotts «Nigger» sowie «Mrs. Chippy», die auf Ernest Shackletons Imperial Trans-Antarctic Expedition dabei war.

 

Eine «Landratte» auf See

Es ist gewiss, dass es kaum eine Ecke auf diesem Planeten gibt, die Katzen an Bord von Schiffen nicht bereisten. Ob die ersten Katzen zufällig an Bord gingen oder ob Menschenhand dabei im Spiel war, weiss keiner. Wahrscheinlich wurden ebenso viele an Bord geboren wie an Bord gebracht. Heute sind sie jedoch wie die Mäuse auf Schiffen rar geworden. Doch auch wenn die Notwendigkeit nicht mehr gegeben ist, führt die eine oder andere Freundschaft dazu, dass Mensch und Tier gemeinsam segeln, so wie Liz und Amelia. Allen Bedenken zum Trotz bringt es Liz nämlich nicht übers Herz, die sechs Monate alte Katze im Dschungel zurückzulassen. «Ich weiss nicht, ob ich sie oder sie mich fand an diesem schicksalshaften Nachmittag im November 2013, aber es fühlte sich ziemlich klar so an, als gehörten wir zusammen», schreibt Liz in dem Blog auf ihrer Website. Sie wählt Amelia Earhart als Namenspatin für die Katze, weil sie in ihr einen ähnlichen Abenteuerdurst spürt wie in sich selbst.

 

Lesen Sie den ganzen Beitrag im KM 3/17.

geschrieben von:
Eveline Schneider-Kayasseh

Eveline Schneider-Kayasseh

Tiere bedeuteten Eveline Schneider Kayasseh schon in ihrer frühesten Kindheit enorm viel und gehören bis heute zu ihrem Alltag. Die studierte Juristin promovierte mit einer Dissertation zum Thema «Haftung bei Verletzung oder Tötung eines Tieres» und befasst sich neben ihrem Berufsleben in der Wissenschaft auch als freie Autorin vor allem mit den Themen Mensch-Tier-Beziehung, Tierrechte und Tierschutz aus einer schweizerischen und internationalen, historischen und aktuellen Perspektive.

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